bookmark_borderLinkschleuder: Gender, angebliche „Cancel Culture“, FDP

Wie üblich verzögert, dafür aber lang und kulturpessimistisch. Auch mal schön.


Den unerfreulichen Teil vorab: Der „gecancelte“ „wissenschaftliche“ Vortrag über Gender bzw. die Frage, ob es ausschließlich zwei Geschlechter gibt oder nicht, an der HU Berlin. Haben vermutlich alle mitbekommen, aber ein paar bemerkenswerte Links will ich trotzdem nochmal zusammenstellen, vor allem zu den Entwicklungen nach der Absage:

  • „So stellt sich tatsächlich heraus, dass wenn man eine Vielzahl divergenter Phänomene in zwei Kategorien einteilt am Ende eine Aufteilung mit zwei Kategorien herauskommt“ (Arthur Harris, Facebook, via Claas Gefroi auf Twitter)
  • Der Linguist Anatol Stefanowitsch fragt sich, wie ein Vortrag einer Doktorandin, „die keine Publikationen zu diesem Thema hat und die in einer Arbeitsgruppe zu Verhaltenspsychologie arbeitet, in der auch sonst niemand zu diesem Thema publiziert hat.“ in die Lange Nacht der Wissenschaften kommen konnte: „Dafür war die LNDW von vornherein nicht der richtige Ort und der richtige Kontext, und eine Doktorandin, die weder zur Biologie von Geschlecht noch zur Soziologie von Geschlechterrollen noch zur Psychologie von Geschlechtsidentität forscht, ist nicht die richtige Referentin.“ (Twitter-Thread)
  • Einige haben sich den Vortrag angesehen und kritisch bewertet, exemplarisch @ReinholdTuexen (Twitter-Thread) und @AdinChelloveck (Twitter-Thread)

Unglücklicherweise ist die Uni nach der Absage dann tatsächlich eingeknickt, nur nicht vor einem „woken Mob“, sondern vor einem konservativen. Wenig überraschend hat sich dann herausgestellt, dass die Dozentin keineswegs politisch neutral und für Diskussionen offen ist, wie man gutgläubig annehmen könnte:

  • Robert Wagner: „Es wird Zeit, dass das Augenmerk auf die fragwürdigen Aktivitäten von Marie-Luise #Vollbrecht gelegt wird. Ihre Tweets sind auffallend gehässig und vulgär, teils auch menschenfeindlich. Tatsächlich erinnern sie sogar an rechte Trolle.“ (Twitter-Thread)
  • Sie zieht Vergleiche zwischen aktuellen Debatten und der „Zeit der Lobotomie“, was wohl die NS-Zeit meinen dürfte (via Robert Wagner, Twitter)
  • Die an den (nachgeholten) Vortrag angeschlossene Diskussion hat sie nicht besucht, weil sie der Meinung ist, der Vortrag sei korrekt gewesen und müsste nicht kontextualisiert werden – sie entzieht sich an dieser Stelle also der Debatte. (via @ElfieTalime, Twitter)
  • Wenn das kritisiert wird, wird „eine rote Linie überschritten“ und angedeutet, damit könne oder solle der Wechsel der Kritiker*in nach Berlin verhindert werden (via Dana Mahr, Twitter)
  • Bodie A. Ashton liefert einen breiteren Blick aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive auf die Äußerungen Vollbrechts zur Geschichte: „International colleagues, I want you to see exactly what is happening over here—an anatomy of atrocity denial as part of a broader campaign of bigotry.“ (Twitter-Thread)

Allgemein zum medialen und politischen Umgang mit der Debatte noch:

  • Dem nachgeholten Vortrag hat die Wissenschaftsministerin (kommt noch…) eine besondere Legitimität zukommen lassen, in dem sie selbst den (wissenschaftlich fragwürdigen) Vortrag besucht. (Tilmann Warnecke, Tagesspiegel)
  • Der mediale Umgang ist an vielen Stellen fragwürdig, so werden etwa rechte Framing eines aggresiven Mobs übernommen und gefestigt oder vorherige Äußerungen der Dozentin schlicht nicht betrachtet. (Lydia Meyer, Twitter-Thread) 1307
  • Bei der nachgeholten Veranstaltung passiert denn auch wenig überraschend nichts dramatisches, womit sich der Verdacht auftut, dass die HU letztlich einer PR-Aktion aufgesessen ist. (Louis Berger, Twitter-Thread) 1407
  • Die Forschungsministerin (ich komme an anderer Stelle auf sie zurück…) ist der Meinung, Transfeindlichkeit „müss[t]en wir alle aushalten,“ weil Wissenschaftsfreiheit und so. (Queer.de) (Hier scheint die Fehlannahme vorzuliegen, Wissenschaftsfreiheit hieße, jeden Scheiß behaupten zu dürfen, ohne dafür kritisiert zu werden. Die Debatte hatten wir bei der Meinungsfreiheit auch schon und auch da war das Unsinn.) 1407
  • „Dass eine Uni sich durch eine populistische Medienkampagne bereitwillig zur Bühne for transfeindliche Agitation im biologistischen Gewand anbietet, ist eben kein Teil von Wissenschaftsfreiheit, sondern eine Verkennung der eigenen Verantwortung.“ (@epicLouT, Twitter) 1507

Und die Folgen vom ganzen Desaster?

  • Wie ein abgesagter Vortrag transfeindliche Feminist*innen und Rechtsaußen zusammenbringt (Sascha Krahnke, Belltower News)
  • Biologin Vollbrecht vollzieht Täter-Opfer-Umkehr (Interview mit Dana Mahr, Katja Thorwarth, Frankfurter Rundschau)
  • Angst vor Meinungsfreiheit: „Nach der Absage eines umstrittenen Gendervortrags findet an der Berliner Humboldt-Universität eine Diskussionsrunde statt – leider zum falschen Thema.“ (Ralf Pauli, taz)

Kommen wir zur FDP. Ich habe diese Partei ein Weilchen mit den Ferengi verglichen, aber das tut den Ferengi Unrecht – die haben Rückgrat und ein Wertesystem, wenn das auch nicht meins ist. Beides bezweifle ich bei der FDP, diese Partei ist gefährlich und tendenziell gesellschaftsfeindlich.

  • Die Forschungsministerin ist starker Kritik aus der Wissenschaft ausgesetzt, so werden etwa Förderzusagen nicht eingehalten oder Förderprogramme kurzfristig eingestellt. Das trifft unter anderem Forschung zu den Auswirkungen von Corona auf die Gesellschaft oder Rechtsextremismus (Tagesspiegel I, Tagesspiegel II)
  • An der Stelle ein friendly reminder, dass Nobelpreisträger schon 2021 vor Christian Lindner als Finanzminister gewarnt haben (Reminder von @wenig_worte auf Twitter, Beitrag beim RND)

Jetzt sollen natürlich wichtige Projekte gefördert werden, nämlich Sachen, die kurzfristig Geld bringen oder was mit antiquierten Antriebstechniken aus dem letzten Jahrtausend zu tun haben.

Ein mit "FDP" bezeichnetes Auto biegt auf einer Autobahn an einer Gabelung zwischen "Forschungsstandort stärken" mit qualmenden Reifen Richtung "Hauptsache was mit Autos" ab
Twitter, Öffentlicher Dienst Memes

Zu anderen Dingen:

  • Warum die oft zitierten Zahlen von „millionenfachem [Kinder-]Missbrauch,“ die auch gerne als Argument für mehr Überwachung herangezogen werden, problematisch sind, erklärt Sebastian Meineck (Netzpolitik)
  • Annika Brockschmidt wirft Friedrich Merz vor, mit seinem Gejammer über Zensur und „Cancel Culture“ Gefahren von rechts zu verharmlosen und rechte Narrative zu bedienen. (Deutschlandfunk, Audio und Twitter-Thread)
  • Passend dazu erklärt Frank A. Stengel, warum das Konzept „Cancel Culture“ eigentlich ein „rechtsradikaler Scam“ ist. (Twitter-Thread)
  • Wer bei VW arbeitet, wird nicht in seinen Persönlichkeitsrechten beschränkt, wenn Audi seine Mitarbeiter*innen zwingt, zu gendern. Auch, wenn er in der Kommunikation mit Audi entsprechend angesprochen wird. Überraschung! (BR, Süddeutsche)
  • Als quasi erste Amtshandlung fordert die Gemeinsame Glücksspielaufsicht der Länder von Providern, Netzsperren einzurichten – auf Anforderung, ohne richterlichen Beschluss. Aus der losen Reihe „warum es eine Scheißidee ist, Netzsperren zuzulassen“. Interessanter Randaspekt: Die Behörde bezieht sich bei der Androhung von Zwangsgeldern auf den Glücksspielstaatsvertrag, der für Provider gar nicht direkt gilt. Glücklicherweise sind die Probvider bislang nicht der Meinung, tätig werden zu müssen, mitunter wird das Schreiben als Erpressung betitelt. Wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sicher lustig, wenn die GGL versucht, das so durchzusetzen. (Netzpolitik)
  • Der Verfassungsschutz fordert derweil bei Auskünften über gespeicherte Daten von den Betroffenen die Zusage, nicht darüber zu sprechen. „Spannende“ Idee. (Golem)
  • Mit dem Personalausweis zum Onlineshopping: Wie selbstbestimmt sind “selbstbestimmte Identitäten”? (Lilith Wittmann, Medium)
  • Georg Fischer schlägt vor, statt „geistiges Eigentum“ den treffenderen Begriff „Immaterialgüterrecht“ zu verwenden (iRights)
  • Ulf Schönert stellt ein Projekt zur Analyse und hoffentlich Verbesserung amtlicher Sprache („Grundstücksver­kehrsgenehmigungs­zuständigkeitsüber­tragungsverordnung“) vor. (Zeit Online, „Offizieller“ Link hinter Paywall)
  • Bayerns Gesundheitsminister ist der Meinung, Datenschutz lähme Fortschritt, weshalb die digitale Patientenakte zum Opt-Out umgestellt werden müsste. Ist zwar datenschutzrechtlich überaus bedenklich, aber what could possibly go wrong? (heise) Die passenden „digitalen Identitäten“ (s.o.) sollen angeblich nächstes Jahr funktionieren (und hoffentlich sicher sein). (heise)
  • Die Open Knowledge Foundation hat ein neues Projekt gebaut, um Parlamentsdokumente bequem durchsuchen zu können, quasi ein inoffizieller Nachfolger von KleineAnfragen.de: Dokukratie (Frag den Staat, Netzpolitik) In Anbetracht des Trägers steht zu hoffen, dass dieses Projekt langlebiger sein wird.
  • Gleichzeitig ist Frag den Staat Mittelpunkt eines Gerichtsverfahrens, in dem das Verwaltungsgericht Berlin die gewagte Feststellung getroffen hat, presserechtliche Auskunftsansprüche wären nur legitim, wenn die Veröffentlichung auf Papier erfolgt. Ja, dieses Jahr. (Frag den Staat, Übermedien)
  • John Christensen hat ein Tool gebaut, das die Bilder des Weltraumteleskops Hubble mit denen des neuen James-Webb-Teleskops vergleicht. Die Unterschiede sind schon faszinierend.

bookmark_borderLinkschleuder: Technikpessimismus, Aktenknoten, Volkszählung

Technikpessimismus-Edition…


Das große Thema des vergangenen Monats, Chatkontrolle, klammere ich mal großräumig aus. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Idee schlecht und potentiell verfassungswidrig ist, die öffentlich als Hauptgrund angeführten Pädophilen-Foren sowieso so nicht gefunden würden und im übrigen ein großer Teil „Beifang“ Jugendliche wären, die anderen Jugendlichen in gegenseitigem Einvernehmen Bilder oder Texte schicken. Hinweisen möchte ich nur auf einen Aspekt, der meiner Wahrnehmung nach untergegangen ist: Ein Teil der Forderung ist, dass Anbieter das Alter von ihren Nutzer*innen überprüfen sollen, was das Ende der Anonymität im Netz wäre. (Netzpolitik)


Die Frage, ob der Bund Objekte, Gebäude und anderes an die Preußen restituieren muss, wird vor Gericht geklärt werden. Jedenfalls haben Bund und Länder jetzt den Vorschlag derselben zu einer außergerichtlichen Einigung zurückgewiesen (FAZ).


Wenig beachtete Nebenwirkung der mittlerweile doch in Schwung gekommenen Umstellung auf E-Akte: Der Badische Aktenknoten (Wikipedia) stirbt aus. (LTO)

(Im Artikel wird auch beschrieben, wie Akten teils mit Entschuldigung von Auswärtigen an badische Gerichte zurückkommen, weil der Knoten nicht wieder geschlossen werden konnte. Erinnert mich an Archivknoten…)


Kurzbericht über einen Workshop zu Notfallverbünden. Speziell ausgerichtet auf Ostfriesland, aber ein kurzer Überblick mit praktischen Hilfen/Links. (Blog für ost-friesische Geschichte)

Passend dazu gibt es eine hübsche neue Karte der Notfallverbünde in Deutschland, die nicht nur die abgedeckten Gebiete, sondern auch die teilnehmenden Institutionen verortet. Sehr hübsch! (kek-spk.de)


Kurz gesammelt zur Geschichte von Volkszählung und Datenschutz:

  • Volkszählung und Zensus: Das große Misstrauen der 80er-Jahre (Deutschlandfunk)
  • Volkszählung und Zensus: Ein Fundament aus Daten zum Planen und Regieren (Deutschlandfunk)
  • Wie das Grundrecht auf Datenschutz entstand (tagesschau)

Im Bereich Gender bzw. Gleichberechtigung sind zwei Themenhefte erschienen: Frauen im Archiv (Archivar 2022,2: PDF) und „Archiv-, Bibliotheks- und Dokumentationspolitiken. Frauen*- und genderspezifische Zugänge“ (VÖB-Mitteilungen 75.2022,1)


Digitalisierung im allgemeinen und KI im besonderen in der Verwaltung:

  • In Berlin können Urkunden aus Standesamtsregistern online beantragt und bezahlt werden. War irgendwie kaputt, bezahlt wurde, danach ist der Vorgang aber versandet (Golem)
  • Die Berliner Polizei handelt „eklatant rechtswidrig“ und verweigert Akteneinsichten. Derweil hat die EU wegen mangelhaften Datenschutzes bei der Polizei ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. (Netzpolitik)
  • Niedersachsen will KI einsetzen, um Gewalt in Gefängnissen zu verhindern. Funktioniert natürlich auf Videoüberwachung und vollautomatischer Auswertung… (Golem)
  • …durch KI, die auch mal versehentlich normale Texte zu Pornotiteln übersetzt. (Heise)
  • Es gibt aber auch verhalten gute Nachrichten: Richter*innen halten den Einsatz von KI in der Justiz grundsätzlich für kritisch. Bleibt zu hoffen, dass die Politik das nicht ganz anders sieht und gegen Widerstände aus der Richter*innenschaft durchdrückt. (Heise, Golem)
  • Die öffentliche IT soll mittels Open Source unabhängiger von Monopolisten werden. (Heise)

Zum Ausweichen von Behörden von „klassischen“ Social Media-Kanälen in das Fediverse:

  • Mediatheken als Social-Media-Ausweichroute: Antworten auf häufige Fragen (Netzpolitik)
  • Stimmen aus dem Fediverse (Netzpolitik)

Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass bei der Anwendung von Uploadfiltern ein Gleichgewicht zwischen den Grundrechten und den Interessen von Urheber*innen sichergestellt werden muss, es müssen also Vorkehrungen getroffen werden, damit legale Inhalte nicht gesperrt werden. So weit, so nicht überraschend. (Maya El-Auwad, iRights)


Traue keinem Dienstleister, der eBooks mit DRM bereitstellt:

  • Onleihe: Technischer Fehler löscht alle Audio- und Videodateien (Heise)
  • Alte Kindle-Modelle verlieren Buchkauf und -ausleihe (Golem)

Zweites Dauerthema, Gesundheit:

  • Der Gesundheitsminister ist allen Bedenken zum Trotze der Meinung, die Einführung einer elektronischen Patientenakte für alle Versicherten sei eine gute Idee und Opt-In würde überbewertet. (Heise)
  • Bestandsaufnahme der Projekte und Herausforderungen Lauterbachs. (Netzpolitik)
  • Vergessene Gefahr: was passiert mit (geplanter?) Obsoleszenz von Implantaten etc. im Körper? Grade bei den modernen, digital steuerbaren Geräten wie bspw. Herzschrittmachern besteht hier ein echtes Risiko. (Heise)
  • DNA ist ein Sicherheitsrisiko (Zusammenfassung eines Interviews, Heise) (Ganzes Interview hinter Paywall)

Zum Abschluss zwei Kleinigkeiten:

  • Die Bild und der „Bläh-Bundestag“ – Ein Trauerspiel in einem Akt (Onkel Michaels Kleine Welt)
  • Duckduckgos datensicherer Webbrowser erlaubt indirektes Tracking von Microsoft (Heise)

bookmark_borderLinkschleuder: Nachträge

Direkt ein paar Nachträge zu gestern, damit bin ich erstmal „auf Null“ und kann sauber anfangen:

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Klaus Graf hat auf Archivalia Tipps für schlechtes Bloggen zusammengestellt (Teil 1, Teil 2). Ich bin versucht, noch „Bilder sind umso unnötiger, desto mehr sie mit dem Beitrag zu tun haben“ zu ergänzen.

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Verwaltungsdigitalisierung, steter Quell des Mangels an Freude:

  • An dem von Dataport entwickelte Open Source-Desktop, der die Abhängigkeit von Micro$oft verringern soll, beteiligt sich jetzt auch Bayern. Damit sind jetzt alle Bundesländer beteiligt, fertig werden soll das Projekt Ende nächsten Jahres. Was allerdings noch unklar ist, ist die Finanzierung. (heise, Golem)
  • Das Innenministerium hat den „GovTech Campus“ gegründet. Lilith Wittmann kritisiert, dass das zu einer weiteren Externalisierung von Wissen führt, wie sie auch schon im Trend zur Beratung durch externe Dienstleister zu beobachten ist. (heise)

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Dass Elon Musk Twitter kauft, haben vermutlich mittlerweile alle mitbekommen. Leonhard Dobusch hat in zwei Twitter-Threads dargelegt, warum Soziale Netzwerke in öffentlicher bzw. öffentlich-rechtlicher Hand nicht unbedingt etwas schlechtes wären. (Thread 1, Thread 2).

Eine (Ganz-)Kurzeinführung in Mastodon, das sich als Ersatz durchsetzen dürfte, gibt es hier.

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Petra Gehring beschreibt im Jahrbuch Technikphilosophie, wie sie durch Retrokatalogisierung „als lesbische Redakteurin [ge]outed“ wurde. So verständlich ich finde, dass sie damit zumindest nicht glücklich ist, bin ich doch anders als sie der Meinung, dass jede*r, der oder die etwas veröffentlicht hat – zwar nur im Selbstverlag, aber doch immerhin mit ISSN und in Bibliotheken überliefert – damit rechnen sollte, dass diese Werke öffentlich rezipiert werden. Natürlich waren die heutigen Recherchemöglichkeiten in den 1990ern noch nicht absehbar, wenn damals mehr Wert auf Aufsatzerschließung gelegt worden wäre, wäre das Outing aber auch damals schon denkbar gewesen.

bookmark_borderLinkschleuder: Archivlinks, Cloud, Verkehrspolitik

Ich und meine Ankündigungen, mehr zu Bloggen *augenroll*. Mal gucken, ob sich eine Linkschleuder alle paar Wochen durchsetzt.

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Tipps zum dauerhaften Verlinken von Online-Ressourcen abseits von DOI etc. (Twitter, gesammelt bei Netbib). Ich benutze statt der vorgestellten Browser-Plugins Archiveror, das Seiten automatisch zu mehreren Archivdiensten gleichzeitig speichern kann

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Mal wieder hat ein Verwaltungsgericht sich daran gemacht, verfehlte Politik zu korrigieren, diesmal hat’s Bremen und auf Fußwegen aufgesetztes Parken erwischt (heise). Die Stadt Bremen geht wegen der grundsätzlichen Bedeutung in Berufung, ich hoffe aber mal, dass das übersteht. Andreas Wilkens kommentiert bei heise zutreffend:

Wenn der Bremer Senat gegen dieses Urteil Berufung einlegt, und das hat er, dann will er illegales Verhalten weiterhin tolerieren. Das ist für einen Innensenator, der für die Sicherheit der Gesellschaft zuständig ist, sehr bemerkenswert. Politiker in Innenressorts sind sonst meist harte Hunde, hier aber stellt einer das Wohl der Autofahrer über die Sicherheit der Gehwegnutzer, die beispielsweise an Engstellen auf die Fahrbahn ausweichen müssen.

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Das LG München hat ein etwas gewöhnungsbedürftiges Urteil zum Urheberrecht erlassen – Researchgate darf Artikel (einiger Verlage) nicht mehr zugänglich machen, die klagenden „Verlage hätten zudem hinreichend belegt, Inhaber der Rechte zu sein, um die Unterlassungsansprüche geltend zu machen“, während „laut Gericht (…) die Inhaberrechte hoch umstritten“ seien. (Forschung und Lehre)

Verlage tracken übrigens ihre Nutzer*innen nicht nur im Web, sondern auch anhand heruntergeladener Dateien, aber das nur am Rande. (Archivalia)

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Dass Cloud-Dienste für bestimmte Anwendungszwecke Vorteile haben, ist bekannt, dass sie auf der anderen Seite aber nicht unkritisch sind, ist auch nichts neues. So gab es jetzt etwa bei Atlassian Probleme beim weit verbreiteten Ticketsystem Jira und dem Wikisystem Confluence, der – bei einigen Nutzern – einige Wochen angehalten hat. (heise)

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Wo ich grade dabei bin, DRM ist nicht hilfreich. DYMO versieht jetzt Papierrollen für seine Etikettendrucker mit DRM-Chips, was nicht nur unnötigen Elektroschrott produziert (Golem), sondern auch neue Probleme. So musste etwa Canon vor einiger Zeit einen Workaround für seine eigenen Toner-Kartuschen veröffentlichen, weil im Rahmen des Chipmangels auch die Chips für’s DRM gefehlt haben. (auch Golem)

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Verwaltungsdigitalisierung, herrje. Steter Quell des Mangels an Freude. Bayern verweigert sich dem Nutzungskonto der Bundesverwaltung und baut lieber was eigenes. Behörden, die das Bundeskonto einsetzen wollen, müssen sich das erst genehmigen lassen. (heise) Ja, zentrale Profile sind mit Hinblick auf den Datenschutz nicht optimal, aber wenn jetzt jedes Land anfängt, ein eigenes Süppchen zu kochen, wird das nix mehr mit sinnvoller Digitalisierung.

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Überhaupt wird im Moment eine Menge Murks erfunden. Unnötig viele Kryptowährungen, NFT-Schrott, der neueste heiße Scheiß ist „Web3“, daass nicht nur den NFT-Kram auf alles aufpropft und damit wohl den Energieverbrauch in ganz neue Höhen treiben dürfte, sondern auch endgültig die anonyme Nutzung verhindert. (Netzpolitik.org, Malte Engeler)

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Zum Abschluss noch ein Kommentar über deutsche Prominente, die gegen das Gendern wettern. (Joachim Huber, Tagesspiegel)

bookmark_borderNoch mehr zu gendergerechter Sprache

bookmark_borderBibliothekstag*e

Auf Openpetition läuft derzeit die Petition Zeitgemäßer Name für den „Bibliothekar“tag. Auf das Thema muss ich, denke ich, nicht weiter eingehen. („Bibliothekartag“ war auch schon seltsam, bevor gendergerechte Sprache konservative Mitbürger*innen in den Genderwahn getrieben hat, der Frauenanteil in der „Branche“ ist doch nicht zu vernachlässigen…)

Auch auf die Diskussion auf InetBib will ich nicht näher eingehen – da war alles dabei, von totaler Zustimmung bis totaler Ablehnung, ist nur leider irgendwann in’s Absurde abgeglitten. Inklusive der strikten Ablehnung der Sternchen-Lösung, die so niemand vorgeschlagen hatte. (Aber was weiß ich schon, ich hab‘ Latein nur in der Schule gehabt.)

Wenn doch Interesse besteht, das Listenarchiv ist offen, viel Spaß. (Sind aber auch einige interessante Sachen drin, geschichtliche Aufarbeitung der Geschichte des Kongresses und Beispiele für andere, von der Gesellschaft unbemerkte Umbenennungen zum Beispiel. Ein Worst/Best-of der Diskussion gibt’s auf Twitter.)

In dem Sinne, drei kleine Links:

  • Armin Wolf: Ist Gendern der „Tod der Sprache“? (Spoiler: Nein)
    • Jede Variante, die ich oben beschrieben habe, ist besser als das ignorante generische Maskulinum.
  • Mela Eckenfels: Quellen zu nicht-diskriminierender Sprache
    • Eine Linksammlung zu Quellen, die helfen, auf diskriminierende Formulierungen zu verzichten, bzw. dafür zu sensibilisieren.
    • Interessant, weil nicht nur Tipps zu gendergerechter Sprache, sondern auch zur Vermeidung u.a. rassistischer und ableistischer Formulierungen
  • Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA): GRA-Glossar
    • Journalisten, Lehrkräfte, Schüler, Studierende, Politiker und historisch Interessierte können mittels des GRA-Glossars Herkunft, aktuelle Bedeutung und Konnotationen von belasteten oder vermeintlich belasteten Wörtern schnell und einfach abfragen.

bookmark_borderDateinamen-Rundumschlag

Weil ich immer mal wieder die ein oder andere theoretische Gruseligkeit zu Dateinamen höre oder praktisch sehe, möchte ich mal ein paar Punkte abgeben, die sich als sinnvoll erwiesen haben:

Umlaute in Dateinamen

Just do it. Einigermaßen aktuelle Betriebssysteme können damit umgehen und wenn es doch mal ein System gibt, das das aus Gründen technischen Rückstandes nicht kann, können diese auch unerfahrene Nutzer:innen bspw. mit dem Bulk Rename Utility problemlos auch für größere Dateimengen ändern. Für die lokale Datenhaltung ist das aber wirklich egal und dass andere Nutzer:innen noch Software verwenden, die seit mehreren Jahren keine Updates mehr erhält, sollte kein Grund sein, auf lesbare Dateinamen zu verzichten.

Ausnahmen sollten hier wirklich nur Systeme bilden, die (noch) alternativlos sind, etwa für die Langzeitarchivierung auf Archive.org – aber auch dort können wir wohl davon ausgehen, dass das „Problem“ mal behoben wird, nachdem Webserver mittlerweile (theoretisch) auch mit Umlauten in Domains umgehen können.

Zeichenkodierung

Speichert eure Dokumente als UTF-8. Nicht ASCII, nicht irgendein Windows-ANSI, kein ISO-whatever, UTF-8 hat mehr Zeichen, auch sonst reichlich Vorteile und ist schon länger De-facto-Standard.

Sortierung

Wie Dateien sortiert sein sollen, hängt natürlich immer ein bisschen von persönlichen Vorlieben und dem jeweiligen Anwendungsfall ab. In vielen Fällen wird eine chronologische Sortierung gewünscht sein, etwa bei Rechnungen oder Korrespondenz.

Hier empfielt es sich, nicht nur einen den Inhalt grob beschreibenden Dateinamen zu vergeben, sondern diesem das Datum „rückwärts“ voranzustellen: Jahr (viertellig) – Kurzbeschreibung – Dateiendung. Warum das sinnvoller ist? Mal ein Beispiel, wie die Dateiablage einer digitalen Nutzer:innenakte in einem Archiv aussehen könnte (am Beispiel einer Sammelakte für Erbenermittlungen):

  • Erbenermittlung Meiermüllerschmidt.docx
  • Erbenermittlung Meiermüllerschmidt(1).docx
  • Erbenermittlung Hinrichsen.docx
  • Erbenermittlung Meiermüllerschmidt(2).docx
  • Erbenermittlung Hinrichsen(1).docx

Ja, das kann man über das Datum „zuletzt geändert“ irgendwie sortieren – aber wirklich schön ist was anderes. Wie viel übersichtlicher ist doch das hier:

  • 2019-03-02 Erbenermittlung Meiermüllerschmidt.docx
  • 2019-08-07 Erbenermittlung Meiermüllerschmidt.docx
  • 2019-10-02 Erbenermittlung Hinrichsen.docx
  • 2020-07-02 Erbenermittlung Meiermüllerschmidt.docx
  • 2020-07-11 Erbenermittlung Hinrichsen.docx

Damit die Sortierung nach Dateinamen funktioniert, ist dabei die englische Schreibweise Jahr – Monat – Tag wichtig, für Jahr empfielt sich vierstellig. Dabei denke ich insbesondere an Materialzusammenstellungen, die auch mal ins 20. Jahrhundert oder noch weiter zurückgehen können und dennoch nach Entstehungsdatum sortiert werden sollen. Nach ISO 8601 empfielt sich als Trennzeichen der Bindestrich („-„).

Natürlich lassen sich die Dateinamen noch ergänzen, meinetwegen Abkürzungen verwenden, Inhalte genauer beschreiben:

  • 2019-03-02 EE Meiermüllerschmidt – Nachlass Müller.docx
  • 2019-08-07 EE Meiermüllerschmidt – Nachlass Schmidt.docx
  • 2019-10-02 EE Hinrichsen – Nachlass Friedrichsen.docx

Bei einer Ordnerstruktur, die nach Personen/Institutionen geordnet ist, entfällt die Institution im Namen natürlich ganz und der Dateiname „muss“ nur noch die genauen Inhalte beschreiben:

  • 2019-03-02 Nachlass Müller – Auskunft Sterberegister.docx
  • 2019-08-07 Nachlass Schmidt – Auskunft Melderegister.docx
  • 2019-08-07 Nachlass Schmidt – Rechnung.docx

Eine Ausnahme könnt ihr für besonders wichtige, „zeitlose“ Dokumente machen, die ihr immer oben halten möchtet. Deren Dateinamen könnt ihr verschiedene Sonderzeichen voranstellen, etwa #, @ oder _. Ich persönlich bevorzuge den Unterstrich, aber das ist Geschmackssache – und mit mehreren dieser Zeichen ließe sich sogar eine weitere Sortierung bauen.

  • _Ansprechpartner EE Meiermüllerschmidt.docx
  • 2019-03-02 EE Meiermüllerschmidt – Nachlass Müller.docx
  • 2019-08-07 EE Meiermüllerschmidt – Nachlass Schmidt.docx

Exkurs Ordnerstruktur

Insbesondere, wenn ihr wiederkehrende Betreffe habt, überlegt euch, ob ihr Sammelordner (also analog zu Sammelakten) haben wollt oder doch eher „Einzelfallakten“:

  • Anfragen Erbenermittler

oder

  • Anfragen
    • Erbenermittler Meiermüllerschmidt
    • Erbenermittler Hinrichsen

Kann beides seine Vorteile haben, aber entscheides es möglichst frühzeitig – nachträglich auseinander sortieren nervt, auch, wenn ihr euch die Arbeit mit ordentlich strukturierten Dateinamen erleichtert habt. Insbesondere für Angestellte im öffentlichen Dienst oder in größeren Unternehmen bietet es sich an, sich am jeweiligen Aktenplan bzw. der analogen Aktenführung in eurer Institution zu orientieren.

Ansonsten gilt auch für Ordner: Besonders wichtige Ordner lassen sich mit führenden Sonderzeichen „oben halten“:

  • _Vorlagen, Textbausteine
  • Anfragen
  • Bibliothek
  • Interne Dokumente

Versionierung

Ein leidiges Thema, wir haben wohl alle schon solche Dateinamen gesehen (und vielleicht sogar produziert:

  • Aufsatz.docx (Geändert: 13.09.2019)
  • Aufsatz fertig.docx (Geändert: 15.09.2019)
  • Aufsatz final.docx (Geändert: 14.09.2019)
  • Aufsatz final – korr.docx (Geändert: 15.09.2019)
  • Aufsatz final fertig print.docx (Geändert: 16.09.2019)

Dass das doof ist, dürfte selbsterklärend sein. Wenn also die Ordnung eine alphabetische sein soll, schreibt die Version der Datei hinten in den Dateinamen. Denn mit

  • Namensregister Sterberegister Region.xlsx
  • Namensregister Sterberegister Region (1).xlsx
  • Beispielformular.pdf
  • Beispielformular2.pdf
  • Beispielformular_aktuell.pdf

ist wirklich niemandem geholfen – insbesondere, wenn eine Version andere Versionen der Datei überflüssig (weil unvollständig) oder gar ungültig macht. Dann doch lieber so:

  • Namensregister Sterberegister Region 2020-07-03.xlsx
  • Beispielformular (Stand 2020-01-03).pdf

Zeitliche und thematische Nähen zu Beiträgen anderer Blogger sind rein zufällig.

bookmark_borderIcons zum Themenbereich Politik

Die bpb betreibt eine „Offene Datenbank Bildsprache Politik„, in der sich Icons/erläuternde Zeichnungen zu verschiedenen Teilbereichen von Politik, aber auch bspw. Wirtschaft(-spolitik) finden.

Eigentlich wohl vor allem für die Erstellung von (Lehr-)Materialien in einfacher und Leichter Sprache und für die Bebilderung von Materialien ohne Text gedacht, können die Materialien auch anderweitig sinnvoll genutzt werden. Einzige Einschränkung: Die Icons stehen unter der recht eingeschränkten Lizenz CC-BY-NC-ND. (Nicht-kommerzielle Verwendung, keine Veränderungen erlaubt – warum das doof ist, wird bei irights.info erklärt)

bookmark_borderAwareness Glossar

Nicht nur beim Thema Gender sollten wir auf unsere Sprache achten, auch beim Thema Behinderungen gibt es verschiedene Fallstricke und Worte, Wortkombinationen oder Abkürzungen, die Menschen außerhalb der Behindertenbewegung nicht verstehen.

Ein laufend erweitertes Glossar gibt es auf wiermuesstenreden.blogspot.com (Keine Angst, die Seite ist nur halb so lang, wie der Scrollbalken vermuten lässt – die Betreiber:innen moderieren nur scheinbar die Kommentare nicht)